Die Rechenmaschine CURTA - Mechanik in vollendeter Form - Peter Kradolfer (3/12)

Die CURTA und ihr Erfinder Curt Herzstark ~ Peter Kradolfer

Es gab zudem auch Taschengeräte. Alle aber waren entweder zu teuer, zu gross oder nur für die Addition und die Subtraktion geeignet. Für jede mechanische Rechenmaschine mussten durch die Konstrukteure zwei Hauptprobleme gelöst werden: das Schaltwerk und die Zehnerübertragung. Beides ist bei der Herzstark'schen Maschine ebenso originell wie einmalig gelungen.
Im Winter 1937/38 war nach jahrelangem Tüfteln die Konstruktion der Vierspezies-Kleinrechenmaschine grundsätzlich fertig und ein erster Prototyp (siehe Bild 4, Maschine Nr. 1, ganz rechts im Bild) war gebaut und funktionsfähig. Kurz nach der Machtübernahme der Nazis in Österreich im Jahre 1938 wurden zwei Erfindungsgedanken - Komplementärstaffelwalze und Untersetzung - zum Patent angemeldet. Unter den DRP10 Nr. 747'073 und 747'074 wurden zwei Patente erteilt, die Produktion aber nicht aufgenommen; die AUSTRIA-Werke mussten ab Sommer 1938 für die deutsche Rüstung Messwerkzeuge herstellen. Zum anderen wollte Curt Herzstark seine Erfindung aus Konkurrenzgründen der Öffentlichkeit noch nicht preisgeben.
Durch den Aufenthalt im KZ Buchenwald kam Herzstark anfangs gesundheitlich stark herunter. Sein Zustand besserte sich erst wieder, nachdem er ab Ende 1943 in den Gustloff-Werken arbeiten konnte. Zu seiner Überraschung war die Lagerleitung des KZ's über seine Arbeiten an einer Rechenmaschine bereits informiert. Er wurde aufgefordert, die Konstruktion neu zu zeichnen. Man wollte das Gerät dem Führer nach der siegreichen Beendigung des Krieges zum Geschenk machen! Daraus wurde dann allerdings nichts, aber diese Wahrheit wurde erst später erkannt. Im Lager erhielt Herzstark ein kleines Reissbrett und das nötige Zeichengerät zur Verfügung und arbeitete jede freie Minute, auch sonntags, an den Plänen. Bis zur Befreiung 1945 hatte er aus dem Gedächtnis die gesamte Konstruktion nochmals neu gezeichnet. 



Abb. 3: Details der Komplementärstaffelwalze, zentrales Antriebselement der CURTA




Bei einem meiner Besuche fragte ich Curt Herzstark, wie denn der Name CURT A entstanden sei. Mir war bekannt. dass auf sehr frühen Plänen der Name LILIPUT eingetragen war und dass einige Prototypen den Namen CONTINA trugen. Ich erfuhr das folgende:
Liliput war tatsächlich der geplante Name, aber er gefiel der Gesellschaft nicht. An der Basler Mustermesse im Jahre 1948 sagte Frau Ramaker, damals Korrespondentin bei der Contina AG: «Diese Maschine ist doch die Tochter des Herrn Herzstark. Wenn der Vater CURT heisst, dann soll doch die Tochter CURTA heissen». Und so heisst die Maschine seither eben CURTA.
Aber ich habe vorgegriffen! Wir haben die Idee und den Namen, aber noch lange keine Maschine. Curt Herzstark war ja noch immer im KZ Buchenwald. Mittlerweile war 1944 und die Alliierten bedrängten das Deutsche Reich immer stärker. Am 18. August 1944 wurden die Gustloff-Werke bombardiert, einige hundert Häftlinge kamen um, die Fabrik wurde zur Hälfte zerstört.

Bei der zweiten Bomberwelle wurde sein neben ihm in Deckung liegender Mitgefangener von einem Splitter tödlich verletzt; Curt Herzstark ist wie durch ein Wunder davongekommen. Der noch brauchbare Rest der Fabrikeinrichtungen wurde verlegt, und zwar in ein stillgelegtes Kali-Bergwerk in Billroda, etwa· 30 km ausserhalb des Lagers Buchenwald. Hier, rund 600 m unter Tag, wurde versucht, die Produktion wiedereinzurichten. Zwei Tage vor der Befreiung kehrten die Häftlinge zu Fuss im Lager zurück. Schliesslich befreiten die Amerikaner am 11. April 1945 das KZ Buchenwald. Curt Herzstark war am Leben geblieben und frei. Mehr noch, er hatte einen vollständigen Satz Konstruktionspläne für seine Kleinrechenmaschine in der Tasche. Nun ging's auf die Suche nach Realisierungsmöglichkeiten. Er nahm Kontakt auf mit den Rheinmetallwerken. Und siehe da - wohl als Wiedergutmachung - wurde Herzstark gleich als Direktor der Rheinmetallwerke eingesetzt und hatte den Wiederaufbau zu leiten. Das Glück währte aber nicht lange, denn schon im Juli 1945 wurden Thüringen und Sachsen aufgrund des Potsdamer-Abkommens der sowjetisch besetzten Zone zugeordnet. Die wenigen Monate bis November 1945 reichten immerhin, um die Pläne reinzeichnen und drei Prototypen erstellen zu lassen. Diese drei Prototypen konnte ich am Wohnort von Curt Herzstark, in Nendeln FL, fotografieren (vgl. Bild 4). Sie sind nach seinem Tod an einen mir nicht bekannten Sammler verkauft worden.
Die Sowjets begannen, die ihnen zugeteilten Gebiete Deutschlands nach eigenen Vorstellungen wiederaufzubauen. In der Folge davon flüchtete Curt Herzstark nach Wien, von wo aus er Kontakte mit einem Freund der Familie Herzstark, dem schweizerischen Büromaschinenhersteller Jost, aufnahm. Fast hätte die Übernahme der Herstellung durch Jost geklappt, da schaltete sich das Fürstentum Liechtenstein ein. Fürst Franz Josef II. von Liechtenstein11 bemühte sich, das arme Agrarland möglichst rasch in einen modernen Industriestaat zu verwandeln. Dies war, wie man anlässlich des Regierungsjubiläums im Jahre 1988 in der Presse lesen konnte, ein Erfolg; doch zurück in die Nachkriegszeit. Das Fürstenhaus hatte Herzstark eingeladen, zur Herstellung seiner Rechenmaschine eine eigene Fabrik in Mauren aufzubauen. Das Angebot war verlockend, und so wurde die Contina AG 1946 gegründet. Für die Firma Jost war dieser Verlauf der Dinge eher eine Enttäuschung, die durch die Übernahme der Generalvertretung nur wenig gemildert wurde. Bei der Contina AG wurde Curt Herzstark technischer Direktor. Der eigentliche Motor und Entscheidungsträger des Unternehmens war jedoch eine Finanzgesellschaft. In dieser recht schwerfälligen und undurchsichtigen Organisationsform waren die Schwierigkeiten voraussehbar und liessen auch nicht lange auf sich warten. Zunächst gelang es Curt Herzstark mit einem Team von äusserst fähigen und experimentierfreudigen Mechanikern12 die ersten CURTA Maschinen herzustellen. Der erste Fabriksaal im Jahre 1947 war ein Provisorium, ein Saal im Gasthof Hirschen in Mauren. Gleichzeitig mit der Aufnahme der Produktion wurde auch ein Fabrik-Neubau für die Contina AG erstellt. Die ersten CURTA Maschinen waren vom Modell I mit der Kapazität 8*6*11; 1954 kam das Modell II mit der Kapazität 11*8*15 dazu. Die bereits angedeuteten Probleme des fehlenden technischen Verständnisses der tragenden Finanzgesellschaft führten recht bald zum Bruch der Contina AG mit dem Erfinder Herzstark Die Aktiengesellschaft wurde aufgelöst, und die Aktien, also auch die Beteiligung von Curt Herzstark, verloren jeglichen Wert. Man sagte ihm, er könne sich in die neu zu bildender Auffanggesellschaft einkaufen. Doch womit? Herzstark hatte kein Kapital!




10 DRP steht für Deutsches Reichspatent Die Bezeichnung «Deutsches Reich» galt für Deutschland von 1871 bis 1945

11 Als Staatsoberhaupt von Liechtenstein feierte Franz Josef II. im Jahre 1988 sein 50-Jahr-Regierungsjubiläum

12 Beteiligt waren unter anderem die beiden Schweizer Feinmechaniker Arnold Kessler und Hans Künzli


© Peter Kradolfer 1993
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