Die Rechenmaschine CURTA - Mechanik in vollendeter Form - Peter Kradolfer (1/12)

Die CURTA und ihr Erfinder Curt Herzstark ~ Peter Kradolfer

Die kleinste je gebaute mechanische Rechenmaschine - die CURTA -trägt quasi den Vornamen ihres Erfinders. Nicht erst seit dem Tod von Curt Herzstark 1988 ist die CURTA ein äusserst begehrtes Sammelobjekt geworden. Kaum eine Sammlerin oder ein Sammler von Rechenmaschinen hat nicht ein oder mehrere Exemplare dieses feinmechanischen Wunderwerks.
Der folgende Beitrag befasst sich mit dem Leben von Curt Herzstark sowie mit der Entstehung und Konstruktion der CURTA. Er basiert auf einer Veröffentlichung in «backup» 6/88, 1/89 und 2/89 und ist für die «Historische Bürowelt» durch den Autor neu überarbeitet worden.



Einleitung

Durch meine Bemühungen um die Aufarbeitung der Erkenntnisse rund um die Entwicklung mechanischer Rechengeräte lernte ich Curt Herzstark (1902 - 1988) kennen. Es begann mit einem Brief im April 1988. Ich fragte höflich an, ob ich wohl mal vorbeikommen durfte, es wären da ein paar Dinge rund um die CURTA, die mich interessieren würden. Keine zwei Tage vergingen und ich erhielt einen Anruf: «Ja, kommen Sie, ich bin zurzeit bei guter Gesundheit». Keine Selbstverständlichkeit im Alter von 86 Jahren! Überrascht durch soviel Spontaneität setzte ich mich in die Bahn und fuhr nach Nendeln, FL. Der Tag sollte für mich zum unvergesslichen Erlebnis werden. «Du darfst den Mann nicht strapazieren, er ist schliesslich in einem Alter, in dem er seine Ruhe braucht», das war die Ermahnung, die mir meine Partnerin mit auf den Weg gab. Ich nahm mir vor, nach drei Stunden spätestens wieder zurückzufahren. Doch dazu kam es nicht. Nach fünf Stunden Gespräch, das man sich lebhafter nicht denken kann, stellte Curt Herzstark lakonisch fest: «Na, wir werden ja niemals fertig, aber Sie dürfen gerne wiederkommen!». Diese Einladung habe ich dankbar angenommen, und so sind aus dem einen Besuch mehrere weitere Begegnungen geworden. «Fertig» wurden wir trotzdem nicht. Es lässt sich ein reiches Leben eben nicht in wenigen Tagen erzählen.



Abb.1: Die CURTA wurde in 2 Modellen hergestellt: Modell I mit 11-stelligem und Modell II 15-stelligem Resultatwerk. Abgebildet sind vier Modelle I mit den Baujahren 1947 bis 1966 und ein Modell II mit Baujahr 1960.

Curt Herzstark hat mich zunächst wegen seiner technischen Leistung beeindruckt. Je mehr ich über sein Leben erfuhr, bewegten mich die Schicksalsschläge, die er erlitt und mit seinem charmanten, aber auch zähen Wesen überwand.



Curt Herzstark

Geboren wurde Curt Herzstark am 26. Januar 1902 als Sohn eines Kaufmanns in Wien. Vater Herzstark gründete 1905 in Wien die Firma «Rechenmaschinenwerk AUSTRIA Herzstark & Co», welche verschiedene Varianten der Thomas'schen-Rechenmaschine mit zusätzlichen und patentierten Herzstark-Ideen von Grund auf konstruierte und baute. Sammlern und Sammlerinnen von historischen Rechenmaschinen ist der Name «Austria Rechenmaschine»2 wohlbekannt. Während des ersten Weltkrieges mussten die AUSTRIA-Werke Präzisionsteile für Schrapnell-Zünder fertigen und sammelten bei dieser Gelegenheit Erfahrungen im «Austauschbau»3. Nach dem Realgymnasium begann Curt 1916 im väterlichen Werk eine Lehre als Feinmechaniker und Werkzeugmacher. Sein Lehrmeister, Joh. Hayard, stammte aus Glashütte4, einem der damaligen Zentren der Feinmechanik. Curt Herzstark hatte damit das Glück, trotz des Krieges eine sehr gründliche Ausbildung zu bekommen. Für seine spätere Tätigkeit als Rechenmaschinenerfinder wohl am bedeutsamsten war das Erlernen des damals ganz neuen Austauschbaus. Nach der mit Auszeichnung abgelegten Schlussprüfung folgte eine Ingenieurausbildung an der Höheren Staatsgewerbeschule in Wien, die sich etwa mit den heutigen Höheren Technischen Lehranstalten in der Schweiz (HTL) oder den Fachhochschulen in Deutschland vergleichen lässt. Die Gesellenjahre verbrachte Curt Herzstark in der väterlichen Fabrik, wo er in der Fertigung und im Verkauf tätig war. 1926 wurde ihm die Reorganisation des Absatzes der Austria-Produkte in der Tschechoslowakei übertragen. So hätte eigentlich alles recht geruhsam weitergehen können, doch die weltgeschichtlichen Erschütterungen in dieser Zeit liessen das nicht zu.





Dipl. lng. ETH Peter Kradolfer ist Absolvent der ETH Zürich und Berufsschullehrer. Er arbeitet seit 1982 mit Computern. Seit 1985 1st er teilzeitlich als Berater für Computereinsatz im Unterricht tätig. In der Freizeit sammelt er Mathematische Instrumente, also auch Rechenmaschinen, mit dem Ziel, die Funktionsweise der Geräte aufzuarbeiten und in Beiträgen festzuhalten.

2 Die Austria-Maschine ist eine Vierspeziesrechenmaschine nach dem Staffelwalzenprinzip. Von 1906 bis 1914 wurden etwa 7000 Stück gebaut. Die Staffelwalzenmaschine geht auf Leibniz (1671) zurück und wurde ab 1821 im Auftrage des franzos1schen Versicherungsfachmanns Ch. X. Thomas in Paris erstmals in grösseren Stückzahlen hergestellt. Oft wird der Begriff «Thomas'sche Rechenmaschine» als Synonym für eine Staffelwalzen-Maschine schlechthin verwendet.

3 Austauschbau ist die heute meist Normbau genannte Konstruktionsart mit engen Toleranzen. Jedes Teilstück musste so genau hergestellt werden, dass es ohne Anpassungen in jedes beliebige Exemplar der zu fertigenden Maschine eingebaut werden konnte. Früher wurden beim Zusammenbau die nicht passenden Teile auf Passmass gebracht. Eine sehr schöne Beschreibung der Schwierigkeiten, die diese frühe Methode verursachte, findet sich z.B. in (Wilberg)

4 Glashütte in Sachsen ist Symbol für berühmte Namen in der Rechenmaschinenindustrie, z.B. Burkhardt'sche Werke, Vereinigte Glashütter Rechenmaschinenfabrik, Saxonia-Werke


© Peter Kradolfer 1993
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