Curta - Er schuf die 'rechnende Mocca-Mühle' - hobby, Das Magazin der Technik - September 1954







Jakob Herzstark und sein Sohn Curt haben einen anstrengenden Tag hinter sich. Dauernd war heute ihr Stand auf der Internationalen Büroausstellung in Berlin umlagert, immer wieder musste Curt seine neue Erfindung erklären: den Multimator, eine bedeutsame Erweiterung der handelsüblichen schreibenden Saldiermaschinen.
Der Name Herzstark hat in Fachkreisen bereits einen guten Klang. Die Rechenmaschinenfabrik im XIII. Bezirk in Wien, die Jakob Herzstark 1905 gründete, ist zwar nicht besonders gross, aber dort wird seit eh und je Pionierarbeit geleistet. Als einer der ersten baute Jakob Herzstark Geräte mit automatischer Division und Doppelzählwerksmaschinen. Der Multimator macht nun auch den Sohn bekannt. An jenem Abend - wir schreiben das Jahr 1928 -, als beide noch durch die Ausstellung schlendern, sagt Vater Jakob zu seinem Sohn Curt, der damals gerade 26 Jahre alt geworden ist: "Eine kleine Rechenmaschine, die man bequem in der Hand halten kann, die leicht ist, die man in die Hosentasche stecken kann und mit der man trotzdem so gut wie mit einer grossen Pultrechenmaschine rechnet - so etwas musst du einmal erfinden!"
Nun, diese Idee war nicht gerade neu. Schon vor dem ersten Weltkrieg und erst recht in den Jahren danach tauchte immer wieder der Wunsch nach einer kleinen, ortsungebundenen und dabei doch voll leistungsfähigen, also besonders für Multiplikation und Division geeigneten Rechenmaschinentype auf. Man wollte so etwas wie eine Leica unter den Rechenmaschinen. Fast alle Rechenmaschinenfabriken suchten ihre Geräte kleiner und leichter zu bauen. Von 6 Kilogramm kam man nach und nach bis auf 3 Kilogramm herunter, aber das war immer noch viel zu viel. Curt Herzstark versuchte sein Glück zunächst in derselben Richtung wie alle anderen Konstrukteure - und scheiterte genau so wie alle anderen. Ohne eine ganz neue konstruktive Idee konnte man diese untere Grenze offenbar nicht unterschreiten!
Vater Jakob hatte seinem Sohn aber eine sehr glückliche Erziehung angedeihen lassen. Bevor Curt Maschinenbau studieren konnte, musste er erst eine Lehre als Feinmechaniker und Werkzeugmacher absolvieren. So bekam er ein Gefühl für Fertigungsverfahren. Als Curt dann im Jahre 1924 in den väterlichen Betrieb eintrat, war er die Hälfte seiner Zeit auch im Verkauftätig. Da merkte er bald, dass es nicht genügt, etwas Brauchbares zu erfinden, sondern dass für die neue Erfindung auch Bedarf vorliegen muss. Sie muss genau das treffen, was das Publikum sich schon lange. wünscht. Nun, für die Leica unter den Rechenmaschinen war offenbar ein grosses Bedürfnis vorhanden: Bauingenieure auf Baustellen, Zoll- beamte, Geodäten, Forstleute und Kaufleute suchten so etwas schon lange. 8 Jahre grübelte Curt Herzstark, konstruierte und verwarf seine Konstruktionen wieder. Die Mechaniker in seinem Betrieb belächelten die Marotte ihres jungen Chefs, und ein alter Werkmeister sagte einmal zu ihm: 'Nein, wissen's, wenn schon die Amerikaner so etwas nicht fertiggebracht haben, dann schaffen Sie's sicher nicht...'
Doch da tat Curt Herzstark etwa, was sonst einem eingefleischten Techniker kaum gelingt: Er vergass einmal alle technischen Voraussetzungen, er tat so, als seien alle technischen Probleme und Fragen bereits gelöst. Er stellte sich vor, wie das Maschinchen gebaut werden müsste, damit man es bequem handhaben kann: Es dürfte nicht grösser als ein Wasserglas sein, man müsste es leicht mit den Fingern einer Hand umfassen können. Die Bedienungskurbel müsste oben in der Mitte angeordnet werden, damit man sie wie bei einer Mokka-Mühle betätigen könnte. Damit war das Ei des Columbus gefunden: Die Maschine musste eine Rundbaumaschine werden, bei der symmetrisch um die Mittelachse alle Einstellhebel und Zählwerke angeordnet werden. Zwar hatte man schon früher versucht, Rundbaumaschinen zu bauen, aber es war nie gelungen. Bei normalen Maschinen läuft der Rechenmechanismus bei der Addition (und damit auch Multiplikation) umgekehrt wie bei der Subtraktion (und Division). Einmal wird die Kurbel im Uhrzeigersinn gedreht, ein andermal im entgegengesetzten Sinn. Bei einer Rechnung wie 3 + 5 = 8 oder 9 - 6 = 3 ist das einfach. Schwierig wird es aber bei Zehnerübertragungen, also bei 7 + 8 = 15 oder 12 - 6 = 6.
Die Werke, die diese Zehnerübertragungen bewerkstelligen, sind das wirklich Komplizierte bei allen Rechenmaschinen; zumindest sind sie zu kompliziert, als dass man sie in eine kleine Rundbaumaschine einbauen könnte. Sie werden aber bedeutend einfacher, wenn sie nur zur Addition gebraucht werden. Herzstark hatte nun einen glücklichen Einfall: Er fand eine einfache mechanische Konstruktion zur Verwandlung der Subtraktion in eine Addition. Man kann nämlich, statt eine Zahl abzuziehen, auch ihr Zehnerkomplement addieren und erhält (abgesehen von der höchsten Stelle) das gleiche Zahlenbild. (Dabei ist das Zehnerkomplement einer Zahl die Ergänzung auf eine dekadische Einheit. Für die Zahl 3 kann 7, 97 oder 997 ein solches Komplement sein.) Ein praktisches Beispiel möge das erläutern:


481 - 247 = 234

Das Komplement zu 247 ist bei einer elfstelligen Rechenmaschine:

100 000 000 000
- 247
----------------
= 99 999 999 753

Die Maschine müsste also wie folgt rechnen:

481
+ 99 999 999 753
----------------
100 000 000 234

Die vordere Eins zeigt die Maschine nicht mehr an, da sie nur 11 Stellen hat.

Das sieht alles recht kompliziert aus, ist es aber in der Praxis gar nicht, denn die Maschine bildet selbst die nötigen Komplementärzahlen. Die Herzstarksche Staffelwalze hat nämlich neben der Normalverzahnung noch eine Komplementärverzahnung, die beim Herausziehen der Kurbel wirksam wird. Damit war das wesentlichste Problem, die Addition und Subtraktion - und damit auch Multiplikation und Division gelöst. (Alle Rechenmaschinen führen das Malnehmen und Teilen, für das sie ja in erster Linie gebaut werden, auf mehrfaches Zusammenzählen und Abziehen zurück.) Die Komplementär-Staffelwalze war nicht die einzige neue Konstruktionsidee, auf die Herzstark kommen musste, um eine kleine Rechenmaschine - seine 'Curta', wie er sie später nannte bauen zu können. Aber natürlich kann man hier nicht auf alle Neuerungen eingehen. Sieben Grundpatente und fast 40 weitere Patente schützen heute die Curta- Rechenmaschine.
Etwa 1936 hat Herzstark diese ersten Ideen. 1938, als er nach dem Tode seines Vaters selbst die Leitung der Fabrik übernommen hat, ist die neue Rundbau-Rechenmaschine so weit durchkonstruiert, dass er ein grösseres Versuchsmodell bauen lassen kann. Doch mit der weiteren politischen Entwicklung in Österreich beginnt für Herzstark eine unsichere Zeit, da er eine nichtarische Grossmutter hat. Zwar hat er bereits einige Patente für die 'Curta' angemeldet, aber vorerst lässt er seine Pläne nun in der Schublade ruhen. Während des Krieges wird er von Dienststellen der deutschen Wehrmacht zur Mitarbeit herangezogen, weil er auch durch seine geschickten Konstruktionen auf dem Gebiet des Messwerkzeugbaues bekannt ist. Doch eines Tages ist die Gestapo stärker als die Wehrmacht. 1943 bringt man ihn nach Buchenwald.
In den Drangsalen der Haft quält ihn besonders der eine Gedanke: "Was wird aus meiner Rechenmaschine? Werden die Konstruktionszeichnungen, die ja fertig vorliegen, den Krieg überstehen und wird man sie mir nicht stehlen ?" Doch das, was er in seinem Kopf hat, kann man ihm nicht stehlen. So beginnt er hoch einmal mit der Arbeit. Auf den kleinsten Papierfetzen konstruiert er von neuem die ganze Rechenmaschine durch. Die 650 Einzelteile werden durchdacht und gezeichnet. Diese Arbeit bewahrt ihn vor der Verzweiflung und gibt ihm die Kraft, das KZ zu überstehen. Als er dann in1 Frühjahr 1945 endlich befreit wird, ist seine Rechenmaschine wieder vollständig durchkonstruiert. Er lässt sofort vier Einzelmodelle als Prototypen bauen. Man hat ihn in Thüringen zum Treuhänder der Büromaschinenindustrie und zum technischen .Direktor einer grossen Büromaschinenfabrik gemacht. Doch bald nach dem Einzug der Sowjets geht er nach Wien. Hier ist es - mittlerweile schreibt man 1946 - unmöglich, genügend Investitionskapital aufzutreiben, um die Produktion einer solchen Rechenmaschine aufnehmen zu können. Ähnliche Verhältnisse liegen auch in Deutschland vor. So nimmt er Kontakt mit schweizerischen und amerikanischen Werken auf.
In jener Zeit sucht aber das Fürstentum Liechtenstein, das bis dahin noch fast reines Agrarland war, nach Industriearten, die besonders arbeitsintensiv sind und die man darum im Lande ansiedeln könnte. Man hört von Curt Herzstark und seiner 'Curta', verhandelt mit ihm, und trotz der damals üblichen Reiseschwierigkeiten bringt man ihn nach Liechtenstein. Eine Herstellerfirma, die Contina AG/Vaduz, wird gegründet. Im Sommer 1947 erfolgt dann der erste Spatenstich für die neue Fabrik, die in Mauren/Liechtenstein allein zur Fabrikation der 'Curta' gebaut wird. Die modernsten Maschinen und Automaten aus aller Welt kommen bald an, und Ende 1948 beginnt bereits die Produktion. Seither sind viele Zehntausende der winzigen Rechenmaschinen in alle Welt gegangen. Ob bei General Motors in USA oder Mount Everest-Expeditionen, der Gifu-Universität in Japan, der Technischen Hochschule in Wien oder dem Bundesbahnzentralamt in München - überall arbeitet die 'Curta' zuverlässig und ohne Kinderkrankheiten.
Das Erstaunlichste dabei ist, dass dieses kleine mechanische Wunderwerk dem Verschleiss nicht mehr ausgesetzt ist als seine grossen Brüder. Da die Curta so klein und leicht ist, kommen in ihr nur winzige Kräfte zur Anwendung und darum ist die Abnützung so gering.
Mit Recht sagt man, das es heute keine echten Erfindungen mehr gäbe, weil sie alle das Werk eines Teams von Technikern und Wissenschaftlern seien. Für die 'Curta' trifft das nicht zu.
Selten ist eine Erfindung unserer Zeit so ausgesprochen das Werk eines einzelnen gewesen, ein Werk, für das er den produktivsten Teil seines Lebens gegeben hat. Wenn Curt Herzstark auch heute nicht mehr den Contina-Werken angehört und dadurch nicht mehr an der technischen Weiterentwicklung der Curta teilnimmt, so hat er doch das Bewusstsein, dass sie sein ureigenstes Werk ist, ein Lebenswerk im wahrsten Sinne des Wortes, eine echte Erfindung. G. Roberto

______________________

EIN WUNDERWERK DER FEINMECHANIK ist die Curta-Rechenmaschine. Sie ist nur 230 g schwer und hat einen Durchmesser von 5,3 cm und eine Höhe von 8,5 cm. So kann man sie bequem In der einen Hand halten, mit Daumen und Zeigefinger der gleichen Hand den Rundwagen drehen und mit den Fingern der anderen Hand die Kurbel und die Einstellgriffe betätigen (Bild links). Das Bild in der Mitte zeigt die Wirkungs weise des Übertragungsmechanismus. Der Einstellschieber schiebt das Einstellrad auf der Obertragungsachse auf eine bestimmte Zahl von 0 bis 9. Bei der Drehung der Kurbel nehmen die Zähne auf der Staffelwalze das Einstellrad mit. Dadurch wird das Zählrad im Rundwagen gedreht. Wird dabei die Ziffer 0 durchlaufen, dann wird das Zehnerschaltrad des benachbarten Zählwerkes durch den Zehnerübertragungshebel nach unten gedrückt, so dass die Walze auch dieses Zählwerk zuletzt noch um eine Stelle weiter drehen kann. Die Komplementärverzahnung der Staffelwalze zwischen den Zähnen der Normalverzahnung ist gut zu erkennen. Im Bild rechts die offene Curta mit abgehobenem Rundwagen und 11 Einstell- und Rechenwerken. Etwa 650 Einzelteile aus rostfreiem Stahl und hochwertigen Legierungen, zum Teil bis auf 1/100 mm Genauigkeit gearbeitet, wirken hier zusammen.

© red-garlic design | All rights reserved - Alle Rechte vorbehalten - Tous droits réservés