Die Rechenmaschine CURTA - Mechanik in vollendeter Form - Peter Kradolfer (7/12)

Die CURTA und ihr Erfinder Curt Herzstark ~ Peter Kradolfer

Nur muss man den Fehler vorher merken. In der Praxis ist es so, dass ich bloss solange drehen kann, bis im Umdrehungszählwerk (vgl. Bild 1) die Zal1l 89 steht, ohne dass ich lange überlegen muss, ob jetzt eine additive oder subtraktive Drehung nötig ist - ich beobachte das Umdrehungszählwerk und stelle jeweils rechtzeitig um. Und darin liegt der ganz wesentliche Unterschied in der Bedienung einer CURTA im Vergleich zu jeder anderen handbetriebenen Rechenmaschine. Bevor ich diesen Satz zu Papier brachte, versuchte ich die selbe Operation - 133 * 89 - auf einer meiner anderen mechanischen Rechenmaschinen nach der Methode der fortlaufenden Komplementaddition auszuführen.

Mit meiner TIM14 kann ich auch statt 133 * 89 wie oben beschrieben, als 133 * (-1 -10 + 100) rechnen, das Resultat ist genau dasselbe. Der grosse Unterschied liegt aber darin, dass nach beendeter Rechnung im Umdrehungszählwerk dann die Zahl 111 anstelle von 89 steht. Die Ziffern des Zehner- und Einer-Wert sind rot, aber um den korrekten Multiplikanden 89 zu erhalten, nützt mir das auch nicht gerade sehr viel. Dies ist vor allem dann von Bedeutung, wenn es um Kettenrechnungen geht, wie zum Beispiel bei einer Rechnung wie 38 * 14 * 57 * 63.44 =?

Während der Produktionszeit der CURTA, d.h. 1947 bis 197015, wurde eine kleine Druckschrift «Rechenbeispiele für die CURTA» mitgeliefert. Darin sind viele weitere Beispiele enthalten und durchgerechnet. Die Raffinessen der praktischen Anwendung heute (wieder) zu entdecken, ist eine spannende Beschäftigung für jeden Liebhaber und jede Liebhaberin mechanischer Rechengeräte. Auf praktische Anwendungen bezogen gibt es im genannten Heftchen Aufgaben aus Handel und Industrie, Statistik, Technik und Geodäsie. Geodäsie oder Vermessungswesen war zu allen Zeiten ein wichtiges Anwendungsgebiet verschiedener wissenschaftlicher Rechenverfahren. Ich erwähne hier nur die Berechnung des arithmetischen Mittels und die Fehlerrechnung.



Abb. 13: Schnittzeichnung der CURTA aus der Schweizer Patentschrift Nr. 267995 vom 1. August 1950. Diese Darstellung ist praktisch identisch mit der Zeichnung in der deutschen Patentschrift DRP Nr. 747074 aus dem Jahre 1939.

Die Patente der CURTA

Eine für mich reizvolle Aufgabe bei der Untersuchung der CURTA war, herauszufinden, was an der Maschine eigentlich patentiert worden ist. Aus meiner Sicht wäre bereits schon die Kleinheit patentierungswürdig. Ein Blick in die beiden ersten Patente, DRP 747073 von 1938 und DRP 747074 von 1939 zeigt uns aber, dass für die Erteilung von Patenten andere Gesetze gelten. Ein Patentschutz muss sich auf die Innovation eines Produktes beschränken. «Kleinheit» war zwar wohl etwas Neues, aber offensichtlich nichts Schutzwürdiges, weil zu wenig innovativ.
Wenden wir uns jetzt den Patentschriften zu. Oder besser gesagt den zwei bereits genannten, denn alles in allem gab es weit über 30 (!) Eintragungen in 14 Ländern, die auf den Namen Curt Herzstark lauteten und mit der CURTA zu tun hatten. Also beschränke ich mich.
In der ersten, DRP 74707316 , die ab 19. August 1938 rechtskräftig war, lesen wir unter dem Titel Patentanspruch: «Rechenmaschine mit einer einzigen von Einstellrädchen umgebenen Staffelwalze und einer Einrichtung zur Ausführung von Subtraktion ohne Drehrichtungsänderung der Staffelwalze, dadurch gekennzeichnet, dass an der Staffelwalze ausser der normalen Stufenverzahnung noch eine starr zugeordnete Komplementärverzahnung vorgesehen ist, derart, dass durch axiales Verschieben der Staffelwalze wahlweise die normale Stufenverzahnung oder die Komplementärverzahnung in Wirkungsstellung zu den Einstellrädchen gebracht wird». Diesem langen Satz, der bereits recht umfassend den Patentanspruch angibt, folgen drei Absätze zur Ergänzung und Präzisierung des Patentanspruchs. Wie wir sehen, bezieht sich das erste Patent somit auf die Komplementärstaffelwalze, ohne dass dieser Begriff allerdings explizit genannt wird. Das zweite Patent, wie das erste in Wien erteilt, schützt die Untersetzung. Im folgenden Zitat aus der Patentschrift verweisen die in Klammem gesetzten Zahlen auf die Patent-Skizze, vgl. Bild 13. Ich zitiere den ersten Satz des Patentanspruches: «Rechenmaschine mit nur einer Staffelwalze und mit um diese im Kreise herum angeordneten Schalt- und Zählwerkgliedern, dadurch gekennzeichnet, dass in dem Antrieb zwischen Einstellrädchen (4) und Ziffernrolle (13) eine Untersetzung (10, 11) eingeschaltet ist und dass dementsprechend die Dauer der Einwirkung der Staffelwalze auf die Einstellrädchen vergrössert ist, wodurch die Drehwiderstände der Zählwerkglieder auf einen möglichst grossen Kurbelweg verteilt werden und die Winkelgeschwindigkeit der Ziffernrollen herabgesetzt wird». Es folgen auch hier drei weitere Punkte.

Bild 14 zeigt Teile der Untersetzung im Schnittmodell. Durch den oben zitierten Satz aus der Patentschrift noch nicht ganz klug geworden, studierte ich weitere Papiere, um hinter die Idee der Untersetzung zu kommen. Die Untersuchung der offenen CURTA, des Schnittmodells tmd Gespräche mit den Konstrukteuren haben mir schliesslich geholfen, die Idee zu verstehen.
Das Wesentliche liegt darin, dass die auf den Treibelementen sitzenden Einstellrädchen und die ganz oben angebrachten Kronenrädchen (vgl. Bilder 14 und 15) fünfzänlig sind. Im Gegensatz dazu sind die auf den Ziffernrollen sitzenden Stirnrädchen zehnzähnig.




14 Die TIM ist eine Staffelwalzenmaschine die bis in die Dreissiger· Jahre von Ludwig Spitz & Co., GmbH Berlin hergestellt wurde

15 Die Produktionsaufnahme erfolgte am 1. April 1947; 1966 wurde die Contina AG von der Firma HILTI AG in Schaan übernommen. Die Curta wurde bis zur Einstellung der Produktion im November 1970 weiter produziert. Verkauft wurde sie noch bis Anfang 1973, dann wurde es endgültig still um das feinmechanische Wunderding. Heute ist das Interesse an der CURTA steigend

16 Der genaue Titel des Patentes lautet: Reichspatentamt, Patentschrift Nr. 747073 «Curt Herzstark in Wien, Rechenmaschine mit einer einzigen von Einstellrädchen umgebenen Staffelwalze»


© Peter Kradolfer 1993
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